Unser Reporter hat das Land nach 17 Jahren zum zweiten Mal bereist und festgestellt: Vieles ist besser geworden – auch mit deutscher Hilfe
Dieses Land ist nichts für Feiglinge. Seit Stunden rumpelt der Jeep auf unbefestigter Piste durch eine furchterregende Felsenwelt. Der Blick vom Beifahrersitz geht mal entsetzt nach unten, wo in schauriger Tiefe der Wildfluss schäumt; mal angstvoll nach oben, wo von steilen Wänden Steinschlag droht. Gelegentlich erzwingen entgegenkommende Lastwagen atemberaubende Ausweichmanöver, während dichte Staubwolken die Sicht vernebeln. Aber Nabijon zeigt am Steuer keine Nerven. Selbst die verrostete Brücke, die nur noch an einem Tragseil schief über der Schlucht hängt, kann ihn nicht schrecken. Wer seit 20 Jahren für die Welthungerhilfe in Tadschikistan unfallfrei Auto fährt, der weiß die Schutzengel an seiner Seite.
Vor 17 Jahren haben wir Nabijon Hakimov kennengelernt. Damals hatte tv Hören und Sehen zum ersten Mal über die Arbeit der Welthungerhilfe in Tadschikistan berichtet. Bis heute kennt kaum jemand das abgelegene Bergland in Zentralasien: 143 000 Quadratkilometer groß, 8,5 Millionen Einwohner, seit dem Zerfall der UdSSR 1991 eine unabhängige Republik mit bizarr verschlungenem Grenzverlauf zwischen Usbekistan, Kirgisien, China und Afghanistan.
Grün ist die Hoffnung
Die Nachbarn haben Uran, Öl, Gas, Gold und die touristischen Juwelen an der legendären Seidenstraße. Tadschikistan hat nur eines im Überfluss: die Willkommenskultur seiner Bewohner, dazu grandiose Landschaftsbilder mit Gebirgen, Steppen und Wüsten. Bei unserem ersten Besuch 2000 verharrte das Land noch im postsowjetischen Trauma. Inzwischen kann oder will niemand mehr Russisch sprechen. Die Lenin-Statuen sind gestürzt, der Prophet heißt jetzt wieder Mohammed.
Aber die Armut ist geblieben. Lawinen, Erdbeben, Dürre und Überschwemmungen setzen den Menschen zu, die mehr schlecht als recht von Ackerbau und Viehzucht leben – und von den Überweisungen der Millionen Verwandten, die im Ausland arbeiten, die meisten in Russland. Doch seit dort die Wirtschaft kriselt, versiegt auch diese Geldquelle.
1994, mitten in einem brutalen Bürgerkrieg, kam die Welthungerhilfe ins Land. Seitdem gilt den Tadschiken das grüne Logo der deutschen Hilfsorganisation als Symbol der Hoffnung. Mehr als hundert Projekte haben das Leben vieler Menschen nachhaltig verbessert. Bewässerungssysteme wurden gebaut, Wasserkraftwerke und Solaranlagen zur Stromerzeugung installiert, Schutzwälder aufgeforstet, Dämme errichtet und Kleinbauern unterstützt.
Für ein besseres Leben lernen
Nun stellt sich die Welthungerhilfe einer neuen Aufgabe. Mit dem „Skill up!“-Programm will sie arbeitslosen Jugendlichen zu einer Berufsausbildung verhelfen. „Skill up!“ ist die Idee von Gudrun Bauer, die das millionenteure Projekt komplett privat finanziert. „Wir wollen jungen Menschen die Chance für eine Zukunft im eigenen Land bieten“, sagt die Hamburger Initiatorin.
„Unser größtes Problem sind die dürftigen Verkehrsverbindungen auf dem Land“, sagt Projektleiterin Romy Lehns. „Die Jugendlichen aus den entlegenen Bergdörfern können nicht in die Stadt kommen, um zentral unterrichtet zu werden!“ Deshalb kommt „Skill up!“ zu ihnen – mit mobilen Teams, auf beschwerlichen Wegen, zur Ausbildung vor Ort.
Diese Wege nimmt auch Gudrun Bauer in Kauf, um sich persönlich über die Projektarbeit zu informieren. Drei Stunden dauert die Höllenfahrt vom Provinzstädtchen Garm in das Pamir-Gebirge. Im Bergdorf Childara erwarten uns Maskierte: Imker-Lehrlinge in Schutzanzügen demonstrieren ihr Können. Honig ist das flüssige Gold Tadschikistans, Imkerei ein nationales Hobby. „Skill up!“ lehrt, wie man Bienenzucht professionell betreiben und den Honig markttauglich machen kann.
Wo die Hilfe Früchte trägt
Nabijon Hakimov chauffiert uns Hunderte holprige Kilometer durch Berglandschaften von atemberaubender Schönheit. Gudrun Bauer trifft Madina (19), die dank „Skill up!“ als Schneiderin gutes Geld verdient. Sie besucht eine Bäuerin, die von „Skill up!“ zum Gemüseanbau angeleitet wurde und göttlich aromatische Tomaten zieht. Sie spricht mit Sulaimon, der Schweißer gelernt und einen Job in einer Kfz-Werkstatt gefunden hat. Überall stößt sie auf Dankbarkeit und überwältigende Gastfreundschaft. In jedem Gehöft wird Tee serviert, werden köstliche Früchte angeboten. Die Menschen legen die rechte Hand auf die linke Brust zum traditionellen Gruß, der von Herzen kommt.
Wir reisen durch ein Land, in dem kleine Fortschritte sichtbar, aber Rückständigkeit und Mangel unübersehbar sind. Klapprige Kühe suchen den letzten Grashalm auf karger Weide. Bauern ackern mit dem Esel vor dem Pflug. Struppige Kinder sammeln Schwemmholz am Fluss. Frauen schleppen Wassereimer zu ihren armseligen Hütten. Die aufstrebende Metropole Duschanbe mit ihren Regierungspalästen und Bürohochhäusern ist von diesen Bergregionen Welten entfernt.
Am letzten Tag der Reise gibt es „Osh“, das Nationalgericht: Reis, Möhren, Kichererbsen und ein wenig Lammfleisch. Nabijon und seine Fahrerkollegen wissen, wo man auch in dem islamischen Land ein paar Flaschen Bier besorgen kann. Die Tadschiken essen im Schneidersitz auf dem Tabschan, einem mit Teppich bedeckten Podest, das vor jedem Haus steht und auf dem sich das ganze tadschikische Leben abspielt. Für die weniger gelenkigen Besucher werden Stühle herbeigeholt. In der Abendsonne leuchten die schneebedeckten Fünftausender ringsum, als wollten sie uns noch einmal daran erinnern, wie faszinierend dieses Land ist.
„Vergesst Tadschikistan nicht!“, sagen unsere Begleiter zum Abschied.
Versprochen. Hand aufs Herz.